05.05.25 – Windkraft
Hochleistungsanforderung an Schrauben schafft neue Märkte
Der Verfestigungseffekt bei der Kaltmassivumformung und die damit verbundene Erhöhung der Zugfestigkeit kann neue Einsatzgebiete und Absatzmärkte für dieses Verfahren ermöglichen. Die hochdynamisch belasteten Verbindungselemente in den Maschinen- und Anlagenbau, beispielsweise bei den Windenergieanlagen, stellt einen sehr interessanten neuen Markt für Kaltmassivumformung dar.
Die Windenergieanlangen mit den Nabenhöhen bis 200 m und den riesigen Rotoren mit Durchmesser bis zu 300 m unterliegen komplexen Windfeldern, welche durch hohe zeitliche und räumliche Turbulenzen hochdynamische Belastungen der Struktur, der Systeme und der Subsysteme einer Windenergieanlage erfahren. Besonders hochbeanspruchte Schnittstellen sind die Verbindungen von den Rotorblättern zur Nabe über das Blattpitchlager; der Flansch zwischen Nabe zur Rotorhohlwelle; die Verschraubung der Hauptlagerung zum Maschinenträger sowie die Verbindung von dem Maschinenhaus zum Turm über das Azimutlager. Im Bild 1 sind die Schnittstellen der verstellbaren Drehverbindung des Rotorblatts (Blattpitchlager) Zwecks Leistung/Lasten-Regelung der Anlage und die Schnittstelle zur Windrichtungsnachführung (Azimutsystem) des Maschinenhauses (Gondel) dargestellt. Neben der Turmverschraubung gehören diese beide Schnittstellen zu den am meistens hochbeanspruchten Verbindungselementen einer Windenergieanlage.
Diese Schnittstellen unterliegen im Betrieb Wechselspannung. Die Simulationsergebnisse zu den Belastungen an der Blattwurzel einer kleinen WEA der Leistungsklasse 1.5 MW mit einem Rotordurchmesser von 70 m ergeben Biegemomenten von ca. 3,8 MNm im normalen Betrieb. Zur Vorstellung: Die Belastungen einer Windenergieanlage mit größerem Durchmesser kann mittels der Ähnlichkeitstheorie grob mit dem Quadrat der Durchmesserverhältnisse (D2/D1)2 abgeschätzt werden [1]. Somit sind bei großen Windenergieanlagen in extremen Lastfällen Biegemomente an den Blattverschraubungsschnittstelle von etwa 50 MNm zu erwarten. Allein die Überlegung, dass diese Belastungen von einer Schraubenverbindung mit einem Teilkreisdurchmesser von ca. 4000 mm getragen werden muss, gibt einen realistischen Eindruck über die hohen Ansprüche an die Anforderungen zur Zugfestigkeit der verwendeten Schrauben und Verbindungselemente für solche Schnittstelle einer WEA.
Ausgehend von den Gleichungen zur Berechnung der Querschnittsspannung einer Schraube und der statischen Sicherheit (Gleichung 1 & Gleichung 2) lässt sich durch die Erhöhung der Zugfestigkeit der Schraube bei der Kaltmassivumformung-Herstellverfahren ein großes Potential erkennen. Die Größe der Schraube, die Anzahl der verwendeten Schrauben oder der Teilkreisdurchmesser der Schraubenverbindung kann damit reduziert werden. Diese Tatsache stellt einen Lösungsansatz zur Kostenoptimierung ggf. Nachrüstung und/oder der Zuverlässigkeitserhöhung von Windenergieanlagen dar.
Gleichung 1:
Gleichung 2:
Wind als Technologie-Treiber
Windenergie gilt seit einigen Jahren als Treiber der Innovation in unterschiedlichen technologischen Bereichen wie Leichtbau, Antriebstechnik, Elektrotechnik, Mechatronik. Dazu sind Innovationen im Bereich Türme von Windenergieanlagen entstanden, angetrieben von dem Bedarf nach Windenergieanlagen für Windschwachbereich und Türme von Windenergieanlagen für Höhen über 120 m. Dabei sind unterschiedlichen Technologien entwickelt worden, welche sich in zwei Hauptkategorien klassieren lassen:
Hybridtürme (Bild 2-a): Der Turm besteht aus mittels Stahlspannseilen verspannten Betonfertigsegmente bis eine gewisse Höhe und im Anschluss aus Stahlrohrsegmenten.
Stahlrohrtürme mit längsgeteilten Segmenten in der Regel ab Turmdurchmesser 4 m (Bild 2-b). Diese werden in der Regel für die ersten 40m bis 80 m Höhe verwendet und im Anschluss werden normale Turmstahlrohrsegmente versendet.
Bei diesen Lösungen werden neben den typischen Flanschverbindungen mit den Längsschrauben auch Spannelemente für die Betonsegmente der Hybridtürme (Bild 2) sowie eine große Anzahl von Querschrauben der geteilten Stahlrohrtürme (Bild 3) verwendet. Solche Verbindungselemente stellen ebenfalls Einsatzmöglichkeit der Kaltmassivumformung dar.
Potenzial der Windkraft
In Deutschland sind ca. 30.400 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von ca. 72,5 GW und 150 TW / Jahr Einspeisung installiert. Die Onshore-Anlagen stellen den größten Anteil mit 28766 Anlagen stand Januar 2025 [3]. Der Plan der deutschen Regierung zur Erreichung der CO2-Neutralität sieht jährlich 10 GW installierte Leistung aus Windenergie vor. Der Trend in der gesamten EU und Weltweit ist ähnlich. Die Berechnungstabelle (Tabelle 1) zeigt, dass sich bei den getroffenen Annahmen 2,3 Mrd. Euro Service- und 10,4 Mrd. Euro Neuproduktions-Marktvolumen für die Schrauben und Verbindungselemente bei der Windenergieanlagen in Deutschland realistisch prognostizieren lassen. Weltweit kann der Service-Markt bei etwa 35,3 Mrd. Euro liegen [6], [7].
Die Windenergie wuchs weltweit stark und legte um 11,1 Prozent zu, was zu einer Gesamtkapazität auf 1.133 GW im Jahr 2024 führte [7].
Neben den gängigen Techniken für die Verbindungselemente sind Innovationen gefragt. Bei den sehr großen Komponenten und den logistischen Einschränkungen ist die Teilung von vielen Komponenten unvermeidbar. An dieser Stelle sind neue Verbindungstechniken mit optimierten Eigenschaften hinsichtlich Montage, Lebensdauer und Wartung von großem Vorteil. Kaltmassivumformung kann in diesem Bereich eine maßgebende Rolle spielen. Dies erfordert jedoch eine enge Entwicklungsarbeit zwischen WEA-Systementwickler und Kaltmassivumformer, um das Know-how und Erfahrungen beider Felder zu kombinieren und Marktfähige Lösungen aus der Kaltmassivumformung für die Windenergie zu gestalten.
Literatur
[1] Mtauweg, S.: Dynamische Untersuchung des Pitch- und Azimutsystems und der zugehörigen Regelstrategien einer Windenergieanlage mittels Mehrkörpersimulation. Dresden, Technische Universität, Dissertation, 2012
[2] VDI 2230 Systematische Berechnung hochbeanspruchter Schraubenverbindungen
[3] Bundesverband Windenergie BWE: www.wind-energie.de
[4] Max Bögl Bauunternehmung GmbH Co KG. (2011) Deutsches Patent- und Markenamt.
[5] https://www.uvp-verbund.de/: Technische Beschreibung Montage von ENERCON Windenergieanlagen (D0327950-1) + https://www.wp.de/
[6] Mtauweg, S.: Windenergie als Neuer Markt für kaltmassivumgeformte Komponenten. VDI 38. Jahrestreffen der Kaltmassivumformer, Neus, 2025
[7] https://www.irena.org/Publications/2025/Mar/Renewable-capacity-statistics-2025